Achtsamkeit und Kreativität
Jedem Menschen stellen sich alltäglich tausende kleine Anforderungen, er muss Kreativität entwickeln, um zu überleben. Ebenso sind sprachliche Äußerungen immer wieder Neuschöpfungen. Wir sind allerdings nicht in der Lage, wirklich Neues zu machen. Es ist vielmehr so, dass eine Idee dann entsteht, wenn man ihr Raum lässt. So sagen wir nicht „Ich habe eine Idee gemacht“, sondern „Mir ist eine Idee gekommen“ oder “mir ist etwas eingefallen.” Achtsamkeit schafft genau diesen Spielraum, der das Neue zulässt, schafft Raum dafür, dass etwas “einfallen kann”. Im Alltag tauchen kreative Momente zumeist nur blitzlichtartig auf. Besonders kreative Menschen zeichnen sich dadurch aus, dass sie diesen Raum höchst wach und bewusst länger offen halten können. Sie sind darüber hinaus dazu in der Lage, neue Ideen wieder loszulassen und zu verwerfen.
Zwei Fähigkeiten sind somit zur Kreativität notwendig: Offenheit für neue Ideen, ohne sich von alten einschränken zu lassen und die Fähigkeit, neue Gedanken auftauchen zu lassen, sie zu ergreifen, sie zu prüfen und sie dann wieder loslassen zu können. Genau das bedeutet Achtsamkeit: Offenheit, Raum für Neues, nichts festhalten müssen und wieder loslassen können.
Wirklich Neues ist dadurch charakterisiert, dass es sich nicht aus dem Alten ableiten lässt. Das geheimnisvolle Prinzip, das gleichsam aus dem Nichts etwas Neues entstehen lässt, wird in vielen Religionen Gott genannt. Gott gilt als Schöpfer – als Kreator – der Welt. Aus buddhistischer Sicht verfügt jedes Lebewesen über Buddha-Natur.
Die Buddha-Natur ist keine Substanz, kein Weltgeist und keine Weltseele. Sie ist auch leer an jeder Identität und Individualität. Diese Leerheit ist leer an allem, was wir sinnlich wahrnehmen, denken oder fühlen. Darum ist sie so schwer zu erkennen. Aber die Leerheit ist nicht nichts. Sie ist durchaus sehr lebendig. Viele buddhistische Schriften bezeichnen die Leerheit als „universelle Kreativität“ (Brodbeck 2012, 27).
Diese Lehre von der Buddha-Natur ist kein Glaubenssystem, keine bloße Beschreibung eines irgendwann einmal zu erreichenden Zustands. Sie lässt sich unmittelbar im Leben der Menschen erkennen. Die Buddha-Natur wird in der Achtsamkeit als universelle Kreativität in der alltäglichen Lebenswelt erfahrbar. „In der Achtsamkeit öffnet die Buddha-Natur unaufhörlich eine alltägliche Pforte – in eine lebendige, kreative Offenheit“ (Brodbeck 2012, 28).
nach “Burnout und Achtsamkeit” (Harrer 2013)
Quelle: Brodbeck K-H (2012) Die Kreativität der Achtsamkeit. ursache & wirkung (82) 26–28
Studie aus der Harvard Business Review (2019) How Mindfulness Can Help Engineers Solve Problems